Sonntag, 8. Februar 2015

Alpha: Her mit dem Vergnügen!


Beziehungsorientierte Elternschaft!
Freies Spiel!
Selbstwirksamkeit!
Tragen! Stillen!
Gewaltfreie Kommunikation!
Genderneutrales Spielzeug!
Plastikfreies Kinderzimmer!

Klingt alles super, aber doch manchmal ein bisschen sehr nach viel Arbeit. Ist er uns wirklich dermassen abhanden gekommen, der einfache und intuitiv "richtige" Umgang miteinander?

Ich mag diese Site, welche "Frühförderung" so anders und wohltuend unspektakulär definiert. Aber dass ihre Schaffung offensichtlich nötig war, erschüttert mich.

Auch die Sendung Kontext erzählt mir über Frühförderung und Kinderspiel, was ich voll und ganz bejahe. Aber hatte man das tatsächlich vergessen können, dass Kinder lernen im freien Spiel?


Einer meiner Lieblings-Erziehungsratgeber ist der "Leitfaden für faule Eltern" von Tom Hodgkinson. Herrlich lakonisch und oft provozierend beruft er sich auf Rousseau und Locke und empfiehlt, die Kinder in Ruhe oder aber für sich arbeiten zu lassen, kein Geld für Spielzeug, Freizeitgestaltung und ähnliches auszugeben, Blockflöten gegen Ukulelen auszutauschen und anderes mehr. Da wird für einmal nicht zuerst gefragt, was das Kind braucht, sondern wie man als erwachsener Mensch mit Kindern unter einem Dach leben will. Hodgkinson gelingt der überraschende Twist, dass genau diese Portion Egoismus das Beste für die Kinder ist, sie stark, selbständig und glücklich macht. Also genau so, wie es sich auch die "konventionelle Ratgeberliteratur" wünscht. Nur einfach viel entspannter. Hier gibt es eine hübsche Rezension zum Buch. Die propagierte Entspannung und Gelassenheit als Faulheit zu bezeichnen, finde ich unglücklich gewählt bis grob irreführend. Schade, dass das tolle Buch den Titel trägt, den es trägt.

Ich las das Buch das erste Mal, als ich noch keine Kinder hatte und fand es vor allem sehr lustig. Einige Jahre später, mit eigenen Erfahrungen als Mutter und der ausgiebigen Lektüre einschlägiger Literatur, gefällt es mir noch besser. Manchmal, wenn ich mich so umschaue, fühle ich mich deplatziert und einsam mit meinen Schmuddelkindern, meiner Auffassung eines gelungenen Tages, meinen Prioritäten im Alltag mit ihnen (Spass für alle zum Beispiel). Dann ist mir dieses Buch ein guter Freund, ein lieber Verbündeter.


*zum Bild: Die Fotografie ist 1979 entstanden und zeigt meinen Vater und mich. Er ging wohl an jenem Tag eher einfach seinem Hobby nach, als dass er die Paradigmen der bindungsorientierten Elternschaft zu erfüllen suchte (was er aber natürlich ganz nebenbei und selbstverständlich tat). Ich spüre beim Betrachten des Bildes nicht ein "Wir trugen dich ständig herum, das war halt aufgrund der Bindungstheorie furchtbar wichtig, aber schrecklich anstrengend", sondern ein "Unser Leben war schön, wir machten, was uns gefiel, und du warst einfach mit dabei". Dafür werde ich meinen Eltern ewig dankbar sein.

**zu Alpha: Hier fehlt der direkte Bezug zum Tier. Er wäre an den Haaren herbeigezogen. Trotzdem reihe ich den Post in die Alpha-Reihe ein, weil ich mich in dieser ja mit Erziehung im weitesten Sinn beschäftige. Und natürlich kann der denkende Mensch die Grunderkenntnisse auch auf die Beziehung Mensch-Tier übertragen.

8 Kommentare:

  1. Kann ein Post mir mehr aus der Seele sprechen? Hodkinson habe ich auch verschlungen. Er schreibt zum Beispiel, dass der beste Ort, an dem Eltern und Kinder zusammen ihre Tag verbringen können, eine große Wiese ist, wo viele Familien zusammenkommen - die Kinder auf der einen Seite, im Matsch spielend, ein Bierzelt für die Erwachsenen auf der andern Seite. Ich hätt' ihn knutschen können :) Und das Bild von Dir als Kleinknirps fasst all diese Ansätze wunderbar zusammen. Danke für diesen tollen Post!
    Alles Liebe,
    frederike

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  2. Liebe M.,
    du machst mir mit deinen Ansichten und Texten so viel Freude aufs Mutterwerden!
    Hab Dank. Und wie.
    Deine M.

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    1. Du kannst gar nicht ermessen, wie sehr mich dein Kommentar freut!
      Eine schönere Antwort auf mein Gewurstel kann ich mir nicht vorstellen.
      Liebste Grüsse

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  3. aus dem bauch heraus werden wir mütter und so sollten wir es auch weiterhin sein. ja, manchmal fühl auch ich mich einsam, bzw. der wirbelwind, weil er eines der wenigen kinder ist, das seine nachmittage nach der schule zuhause und da vor allem draußen verbringen darf - die mitstreiter, die es für ein freies, selbstorganisiertes spiel oft bräuchte, die fehlen meist, und so ganz alleine dauernd durch den wilden garten zu streifen - ich verstehe, wenn das nicht jeden tag spannend ist.
    immer wieder versuchen wir, andere kinder einzuladen. das problem ist, dass nicht einmal das mehr selbstverständlich ist - die meisten (meist berufstätigen) mütter glauben dann, sich revenchieren zu müssen, und schon an ihrem hin und her überlegen, an welchem tag es denn am günstigsten wäre, merke ich meist schon, dass ein regelmäßiges kommen von freunden nicht einfach so passiert. schade eigentlich.
    und traurig eigentlich, dass den meisten die zeit so knapp ist für ihre kinder, denn so ist die miteinander verbrachte zeit meist eine animierte, bespielte. dabei ist es doch genau so am schönsten, wie du es anhand deines fotos beschreibst - das miteinander funktioniert so fein, wenn man miteinander einfach tut, was notwendig ist, freude macht... ...
    dass es mittlerweile not tut, kindern natur nahe zu bringen, selbst den kleinsten, handstände und ich weiß nicht was aufführen muss, um sie zu eigenem spiel anzuregen, das nicht angeleitet ist, ist in wirklichkeit mehr als traurig uznd wundert. oder wundert eben auch nicht.
    weiter so. aus dem bauch heraus. sich selbst und seine kinder spüren. dazu braucht es keine eltern und erziehungsratgeber, denn das patent a gibt es sowieso nicht. auch das funktioniert immer prinzip ist eine illusion, von deren zwangsvorstellung allerdings so mancher buch- und zeitschriftenmarkt profitiert...
    lass uns faule eltern sein, mit schmuddeelkindern, die freudenränder unter den fingernägeln haben und indianerbeschmierte matschgesichter, ausgefranste stellen an den hosenknien und das privileg haben, schrammen haben zu dürfen. denn das sind wohl die wahren abenteuer der kindheit. und auch die freuden des elternseins, wenn die kinder mit hochroten backen und schmutzigen füßen, dafür freudestrahlend berichten, von großen ungeheuern im wald, die es zu überwältigen galt, vom fisch an der steckerlangel, "der soooooo groß war", geregelt durch regeln, die maß und ziel haben...
    dein post ist wundervoll!
    herzlichste grüße
    dania

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  4. Das ist ein wunderbares Bild - es sagt alles!
    Lieben Gruß von Lena

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  5. ich bin so ganz und gar bei dir, liebe martina. und genau diese sätze, die du zum bild schreibst – ein solches dasein zu haben, dass sie zu dem passen, was ist, das ist das wertvollste überhaupt.

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  6. Liebe Frau Krähe, dank deiner schönen Antworten auf meinem Fragebogen bin ich endlich auf deiner Seite gelandet. So ein berührendes Bild und bei deinem Text kann ich jedes Wort unterschreiben. Herzliche Grüße, Uta

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Ich freue mich über jeden Kommentar.
Weil dann Statistik-Zahlen zu Menschen werden.
Dank dir.